Kapitel 1 - Der Mars

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1. Januar 2222 - 08:05 Standard-Zeit Erde
Tempelmann-Block, München
Geheimes Sicherheits-Trainings-Center der AMBB Luft? und Raumfahrt A.G.

Hauptmann Paul Weller betrat die Kantine der Konzern-Sicherheit im 82. Stockwerk und setzte sich an einen der freien Tische am Fenster. In der Ecke lief ein Trideo-Projektor. Es war noch nicht viel los an diesem Neujahrsmorgen. Die meisten Menschen hatten bestimmt bis in die Morgenstunden gefeiert, nicht zuletzt deswegen, weil fast alle ein riesiges Tamtam um die Jahreszahl gemacht hatten. Viermal die Zwei. Weller konnte die Euphorie der Medien nicht teilen, die von der „Magie des Augenblicks„ sprachen, von Umbruch der Gesellschaft und all den anderen leeren Phrasen. Er bemitleidete auch die religiösen Fanatiker und die intellektuellen Gesellschaftskritiker, die den Anfang vom Ende postulierten ? wie so oft.

„Vielleicht ist es arrogant“, dachte er, aber im Grunde fühlte er sich überlegen, dass ihn diese Zahl nicht so emotional berührte wie die anderen.

Vielleicht lag es an der guten Erziehung im Konzern-Kinderhort? Weller war ohne jegliche körperlichen Benachteiligungen zur Welt gekommen. Seine Eltern waren beide bei einem Arbeitsunfall kurz nach seiner Geburt gestorben. Als Jugendlicher hatte er versucht, etwas über die näheren Umstände herauszubekommen, aber ohne Erfolg. Sein persönlcher Lehrer meinte, dass es vielleicht besser so war, manche Dinge nicht zu wissen. Trotzdem war seine Kindheit besser als die der meisten anderen Konzernkinder. Es hatte ihm nie an etwas gemangelt.

Vielleicht lag es auch an seiner besonderen Ausbildung in der Konzernschule. Er wurde im Alter von 16 Jahren mit einem Begabtenstipendium an die Schule der Führungskräfte für Konzern-Sicherheit geschickt. Leistung und Disziplin. Der Konzern hatte seine überdurchschnittlichen Begabungen mit aufwendigen Mitteln gefördert. Abschluss im Alter von 21 Jahren mit Bravur.

Oder vielleicht lag es an seinem Beruf bei der Konzern-Sicherheit. Zwei Jahre Sicherheits-Ausbildung, 5 Jahre Einsatzerfahrung ? davon zwei kurze Kampfeinsätze im Nahen Osten. Und jetzt? Nicht irgend eine Konzern-Sicherheit, sondern die Creme de la Creme. ,Kampfgruppe Phoenix'. Besondere Verwendung in Krisensituationen. Streng geheim. Alles Einzelkämpfer, trainiert auf maximale Unabhängigkeit. Hervorragendes Training und beste Ausrüstung. Höchste Präzision und Zuverlässigkeit. Fast so schlagkräftig wie Robot-Einheiten, aber technisch zuverlässiger. Fast so zäh wie Androiden, aber psychisch stabiler.

„Wir können die Probleme der Menschheit nicht lösen, indem wir uns durch Maschinen ersetzen lassen.„ und „Ihre Kampfgruppe ist das Skalpel des Konzerns.“ hatte Oberst Haid gesagt. Es gab einige dieser Kampfgruppen wie die ,Phoenix', aber Keiner weiß etwas von den anderen. Nur Haid kennt alle Leute und darüber kommt nur noch der Konzern-Rat. Weller hatte Oberst Haid nur einmal vor etwa einem halben Jahr gesehen. Haid war eine charismatische Führungspersönlichkeit. Er strahlte einerseits eine große Gütigkeit aber auch unnachgiebige Strenge aus. Weller wußte im Moment dieses Treffens, dass er sich so unterbewusst immer seinen Vater vorgestellt hatte und war froh, dass er von ihm zur Spezialeinheit geholt worden war. Nein, nicht nur froh, sondern glücklich. Seitdem wurde er mit vier anderen Einzelkämpfern ausgebildet. Der Ausbildungsleiter hieß Wolf, Major Wolf. Und er, Weller, war aufgrund seiner guten Führungsqualitäten und seiner Erfahrung Gruppenführer.

„Nein, 2222 war genauso gut wie jede andere Jahreszahl. Entsprechend normal und zurückhaltend war auch die Feier in kleinem Kreis gestern Nacht abgelaufen. Nur die Leute aus seiner Kampfgruppe, Major Wolf und ein paar Frauen, mit denen sie hin und wieder etwas Freizeit verbrachten. Kein Alkohol - keine Exzesse - kein Tamtam …

„Ich wünsche Ihnen ein frohes Neues Jahr, Hauptmann Weller„, begrüßte ihn der Kellner. „Was darf ich Ihnen bringen?“ Der Kellner hatte sich fast lautlos genähert und wartete unaufdringlich auf seine Bestellung.

„Bringen Sie mir das Standard-Frühstück und die 23.„ Es war wie an jedem anderen Trainingstag, nur zwei Stunden später. Weller verbrachte seine Urlaubstage fast wie jeden anderen Tag. Er brauchte keinen Urlaub. Urlaub war etwas für Leute, die mit ihrem Leben eigentlich unzufrieden waren. Weller war zufrieden mit seinem Leben. Er war zufrieden mit dem Konzern. Sein Leben war der Konzern. Das hatte nichts mit Fanatismus zu tun, auch wenn ihn die anderen in der Konzernschule manchmal damit geärgert hatten. Weller fand den Begriff Loyalität in diesem Zusammenhang viel angebrachter. Immerhin war er jetzt bei ,Phoenix'. Er war nicht so wie die anderen Verlierer.

„Kommt sofort.“ sagte der Kellner und verschwand lautlos wieder.

„Weller sah gelangweilt zum Trideo-Schirm an der Wand. Es lief eine philosophische Talk-Sendung. Der Moderator fragte: Herr Professor, ist ein Mensch überhaupt fähig, seine eigene Entwicklung zu beeinflussen?„ Der angesprochene Mann antwortete: „Zweifellos! Unablässig treffen einzelne Individuen intelligente Entscheidungen, um ihre persönlichen Ziele zu verwirklichen. Diese Ziele resultieren oft aus der triebhaften Ausrichtung, das eigene Überleben zu sichern oder die menschliche Population zu vergrößern. Aber viel interessanter ist doch die Frage: Sind die Menschen in ihrer Gesamtheit überhaupt fähig, ihre Entwicklung zu beeinflussen? Sind sie eine Masse von gleichgerichteten, triebhaften Individuen, aus deren einzelnen, überlegten Handlungen sich eine Art von Gemeinschaftshandlung ergibt, die das Wohl der Menschheit anstrebt?“

„Ein anderer Professor antwortete: Viel wahrscheinlicher ergibt die Summe aller sinnvollen Einzelhandlungen letztenendes nur ein neutrales Rauschen, das zu einem zufälligen Ergebnis führen wird. Die Entwicklung hängt eher von einzelnen Individuen ab, obwohl sie triebhaft gesteuert sind. Also: Ist ein Mensch fähig, die Entwicklung der Menschheit zu beeinflussen?„

„Eine Frage, die nicht so einfach beantwortet werden kann“, sagte der Moderator, „aber was denken Sie, Herr Doktor Prauschke?„

„Ständig gibt es geschichtlich relevante Ereignisse, die eine direkte Folge menschlichen Handelns sind. Oft sind es sogar die Entscheidungen weniger Menschen, die zu globalen Veränderungen führen. Manchmal sind die Auswirkungen sogar mehr oder weniger identisch mit dem ursprünglichen Plan. Viele große Taten wurden schon vollbracht. Die tiefer gehende Frage jedoch ist: Haben diese globalen Veränderungen menschheitsgeschichtlicher Entwicklung überhaupt tatsächlichen Einfluss auf die evolutionäre Entwicklung?“

„Was sagen Sie dazu, Hochwürden?„ fragte der Moderator und wandte sich dem scharlachrot gekleideten Mann auf der anderen Seite zu. „ich denke, dass wir zuerst klären müssen, was für die menschliche Entwicklung überhaupt erstrebenswert ist. …“

„Bitte sehr, Herr Hauptmann, Ihr Standard-Frühstück und die 23.„ sagte der Kellner und stellte das Tablett vor Weller auf den Tisch.

Weller sah, wie die Eingangstür der Kantine zur Seite glitt und Oberleutnant Merkling eintrat. Er winkte ihm zu. Der Kellner verschwand.

Merkling war der Pilot seiner Kampfgruppe. Ein zäher Bursche, der einen ähnlichen Lebenslauf hatte wie er und die anderen Gruppenmitglieder. Perfekte körperliche Verfassung, hochbegabt, hervorragend ausgebildet und mit Belobigung abgeschlossen. Die Gruppe bestand ausnahmslos aus Männern, auf die man sich absolut verlassen konnte.

Merkling setzte sich an den Tisch und winkte dem Kellner. „Guten Morgen, Weller. Wie geht es Ihnen?“ - „Gut. Und was ist mit Ihnen? Ich hoffe, Sie sind heute fit für den Simulator.„ sagte Weller. „Immer!“ erwiederte Merkling und bestellte einen Kaffee beim Kellner, „schwarz und ohne Zucker„, wie immer.

„Der Dreiklang der Rundrufanlage ertönte aus einem versteckten Deckenlautsprecher und eine angenehm ruhige Stimme unterbrach ihr Gespräch: Alle Mitglieder von Gruppe 30-14 bitte umgehend in den Schulungsraum. Ich wiederhole: Alle Mitglieder von Gruppe 30-14 bitte umgehend in den Schulungsraum.“

Gruppe 30-14 war Wellers Gruppe.

„Vergessen Sie den Kaffee!„ sagte Merkling zum Kellner, während er aufsprang. Wenige Sekunden später waren Weller und Merkling auf dem Weg zum Schulungsraum.

Der Kellner räumte Wellers unberührtes Tablett ab.

Die Räume, die Korridore, die Aufzüge und Treppenschächte des AMBB Trainings-Centers waren vollständig von Robot-Kameras überwacht. Die elektronischen Augen folgten jedem Benutzer des riesigen Gebäudekomplexes. Implantierte Chipkarten mit Sender übermittelten ständig die Position aller Personen. Intelligente Computer im Herz des Gebäudes speicherten die Informationen, verarbeiteten sie und reagierten entsprechend.

Niemand könnte einen Gegenstand an einen falschen Ort legen oder entwenden, etwas verschmutzen oder sogar das Gebäude in Brand setzen, ohne dass die Computer etwas dagegen unternehmen würden. Sabotage war praktisch unmöglich.

Weller mochte diese Überwachung. Er hatte nichts zu verbergen. Sein Leben stand schon immer im Dienst des Konzerns. Er war stets ein Vorbild für seine Gruppe und erwartete von seinen Leuten auch, dass jeder seine Pflicht vorbildlich erfüllte.

Als Weller und Merkling den Aufzug erreichten, wartete er schon mit geöffneter Tür. Es war bereits ein anderer Mann drinnen, der nach oben wollte. Die Fahrstuhltür schloß sich hinter den beiden und die Fahrt ging nach unten zum Schulungsraum. Der Computer hatte das selbständig entschieden. Alarmruf geht vor.

Der Schulungsraum lag unmittelbar neben ihren Unterkünften. Aus diesem Grund waren die anderen drei aus der Kampfgruppe schon anwesend, als Weller und Merkling eintraten. Major Wolf saß am Kopf des großen Konferenztisches.

„Guten Morgen, Major.“ begrüßte ihn Weller und setzte sich mit Merkling ebenfalls an den Tisch. Auf den Monitoren, die vor ihnen in der Tischfläche eingelassen waren drehte sich wie gewohnt das AMBB-Logo – vier einfache, mächtige Buchstaben, eingefasst von einem dynamischen Oval.

„Schön, dass Sie alle hier sind, meine Herrn.„ sagte Wolf. „Ich bin mir im Klaren, dass Sie heute Urlaub haben, aber das ist nicht einer der Alarm-Tests, die wir alle zur Genüge kennen. Dieses Mal gibt es einen realen Auftrag von höchster Stelle der Konzernleitung. Sie haben jetzt ein halbes Jahr intensive Ausbildung im Sicherheits-Team ,Phoenix' hinter sich. Sie sind auf alle Eventualitäten vorbereitet und mit der Ausrüstung optimal vertraut.“

Weller entging während dieser Worte nicht das zufriedene Grinsen von Leutnant Hellberg, der auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß. Er hatte in den letzten Monaten mit drei Ausbildungsspezialisten zusammengearbeitet. Sie hatten Maximilian Hellberg im Bereich Computermanipulation und Elektronik äußerst nützliche Dinge beigebracht. Außerdem hatte er in dieser Zeit zwei Pilotenscheine für seine Aufgabe als Copilot absolviert und sich mit den neusten Feuerleitsystemen kleiner Kampfschiffe vertraut gemacht. Hellberg war zweifellos derjenige in der Gruppe, vor dem Weller den meisten Respekt hatte. Er war unglaublich belastbar und hatte kaum einen Tag unter 10 Stunden Training gehabt, oft auch am Wochenende. Und das Training war in jeder Beziehung hart, das wussten sie alle.

Wolf fuhr fort: „Für alle weiteren Informationen über den bevorstehenden Auftrag gelten natürlich alle Vorschriften wie üblich. An den Computern an ihren Sitzplätzen können Sie unter dem Decknamen ,Wiedergeburt' alle relevanten Daten abrufen.

„Wir schicken Sie auf den Mars, um den Wissenschaftler Prof. Dr. Stark abzuholen. Wie Sie alle wissen, gibt es auf dem Mars einen recht großen Komplex aus Strafvollzugsanstalten, die in einem Tal liegen, das durch einen etwa 10 km breiten Gürtel mit Abwehranlagen von der Außenwelt abgeriegelt ist. Stark ist derzeit in einer der Vollzugsanstalten inhaftiert. Wir haben uns mit unserer Kontaktperson der Anstaltsleitung inoffiziell geeinigt, dass am 16. Januar für die Dauer einer Stunde eine Schneise im Sicherheitsgürtel zum Durchflug für Ihr Shuttle freigegeben wird. Sie werden sich also mit dem bereit gestellten M-Klasse Passagierschiff ,Sciscator-48' in den Marsorbit begeben, mit dem Shuttle des Schiffes auf einem ca. 25 km von den Vollzugsanstalten abgelegenen Flugfeld innerhalb von Convallis Morituri landen und dort Herrn Stark in Empfang nehmen. Er wird Ihnen von zwei Sicherheitskräften übergeben, die mit uns zusammenarbeiten. Im Marsorbit wird ein AMBB-Kreuzer auf Stark warten. Dort endet Ihre Mission mit der Übergabe des Professors.

„Wir erwarten, dass die Mission ohne Zwischenfälle ablaufen wird. Allerdings sollten Sie darauf achten, sich innerhalb der Vollzugsanstalt auf jeden Fall bedeckt zu halten. Achten Sie konsequent auf eine Minimierung ihrer Waffenpräsenz, wir erwarten nicht, dass Sie auf Widerstand stoßen. Wenden Sie nur Gewalt an, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Professor Stark muss unter allen Umständen unversehrt zurückkehren. Er ist von unschätzbarem Wert für die zukünftige Entwicklung unseres Konzerns.

„Sie haben noch etwa drei Stunden Zeit, um sich die Details anzusehen. Pünktlich um 13:00 Ortszeit wird Ihr Shuttle zum Schiff vom Dach des Trainings-Centers abheben. Die verfügbare Ausrüstung wird sich zum Zeitpunkt Ihres Abfluges an Bord der Sciscator-48 befinden. Sie müssen lediglich an Bord gehen und sich in die Tiefschlaftanks begeben. Der Kurs wurde bereits programmiert. Noch Fragen?„

Niemand hatte Fragen.

„Gut, meine Herrn, dann sprechen wir uns nach erfolgreich abgeschlossener Mission wieder. Hauptmann, ich wünsche Ihnen und ihrer Gruppe viel Glück.“ Weller nickte. Wolf verabschiedete sich von allen Männern mit einem kräftigen Handschlag und verließ den Schulungsraum.

Weller schaute in die Runde. Die Männer machten einen ruhigen Eindruck. Aber das täuschte. Sie hatten natürlich alle schon ein paar Jahre Kampferfahrung von der Zeit vor ,Phoenix', genau wie er selbst, aber der normale Dienst bei der Konzern-Security war trotzdem nicht vergleichbar mit dem, was sie in Zukunft erwartete. Das Training war abgeschlossen. Jetzt wurde es ernst.

Oberleutnant Merkling und Leutnant Hellberg waren alte Hasen, 3 bzw. 2 Jahre Einsatzerfahrung in zahlreichen Einsätzen. Beide konnten ihn im Ernstfall vertreten.

Dann war da noch Leutnant Klaus Bernhard. Er war bisher noch nie im Kampfeinsatz gewesen, aber seine hervorragenden Fähigkeiten als Sprengspezialist und ABC-Waffenexperte werden der Gruppe sicher zugute kommen. Desweiteren hatte er im letzten halben Jahr eine intensive Sanitäts-Ausbildung erhalten.

Und schließlich Leutnant Harald Schwarz, mit 23 Jahren der Jüngste. Immerhin 5 Jahre Kampferfahrung. Ein Hühne von einem Kerl. Er war zwar auch nur etwa 1,9 m groß wie alle anderen, jedoch recht breit gebaut und wog 110 kg. Er war als Techniker ein wahrer Improvisationskünstler und außerdem besonders trainiert im Gebrauch schwerer Infanterie-Waffen. „Wir werden das Kind schon schaukeln, nicht wahr, Boss?„ sagte er zu Weller. Er hatte hin und wieder eine etwas lockere Art, die Weller zwar nicht teilte, ihn aber auch nicht störte, da Schwarz stets gute Leistung brachte. „Worauf Sie sich verlassen können, Schwarz.“ antwortete Weller. „Aber ich schätze, wir haben noch einiges zu tun, bis unser Shuttle startet. Also an die Arbeit, sehen wir uns die Missions-Details einmal an. …„

8 Minuten vor dem Abflug öffnete sich der Fahrstuhl neben dem Shuttle-Landeplatz auf dem Dach des AMBB-Konzerngebäudes ,Tempelmann' und die fünf Männer der Kampfgruppe ,Phoenix' traten hinaus auf die windige Plattform, des 360 m hohen Gebäudes. Alle trugen Kampfstiefel, graublaue, reißfeste AMBB-Plastikoveralls und Schildmützen. Allerdings waren weder Abzeichen noch Logos auf der Kleidung, wie das sonst üblich war.

Die Luft war hier oben nicht ganz so schlecht, wie unten am Boden der Stadt, deshalb hatte jeder nur eine leichte Filtermaske vor Mund und Nase. Auf die Dauer schadete die Luft auch den Augen, aber sie waren ja nur kurz draußen. Sie bewegten sich im Laufschritt auf das bereitstehende Schiff mit dem großen AMBB-Logo zu und zwei Minuten später befanden sich alle an Bord.

Die beiden Piloten saßen bereits vorne im Cockpit. Der eine grüßte Weller mit einer lockeren Handbewegung. Sie kannten sich flüchtig vom Simulator-Training. Der andere Pilot ließ die Triebwerke hochfahren, während Wellers Gruppe ihre Plätze einnahm. Kurz darauf hob das Shuttle vom Dach ab. Weller sah aus dem Fenster. Der Tempelmann-Block blieb unter dem Shuttle zurück und schrumpfte gemeinsam mit den anderen Mega-Komplexen Münchens scheinbar zusammen, bis die Stadt schließlich nur noch wie ein dunkler, grauer Fleck aussah, von dem zahllose Hauptverkehrsadern ausgingen, wie Wurzeln, die sich in der Ferne verloren. Es sah aus, als wollte sich die Stadt im Boden festkrallen, dachte Weller. Wobei ihn diese Vorstellung irritierte, denn auf der Erde gab es ja nur noch Abfallwüsten - ätzend, bakterienverseucht und radioaktiv.

Früher gab es unzählige Pflanzen und freilebende Tiere auf dem Land. Weller hatte nicht viel davon gehört, aber ein Wissenschaftler in einer Trideo-Sendung hatte einmal behauptet, dass bei weitem die meisten Pflanzen und Tiere bereits ausgestorben waren, bevor man ihren genetischen Code entschlüsseln und archivieren konnte. Es hatte sogar einige Versuche gegeben, ausgestorbene Tierarten zu klonen und wieder anzusiedeln. Keiner dieser Versuche hatte Erfolg, obwohl die Tiere gentechnisch resistenter gemacht wurden. Einige Tiere dieser fehlgeschlagenen Projekte kann man heute noch in exklusiven Zoos begutachten. Dort gibt es eine Vielzahl an Säugetieren von erstaunlicher Form und Farbe. Aber die Vorstellung, dass diese Wesen einmal die Oberfläche der Erde bevölkert hatten, wirkte befremdend auf sein Weltbild, fast wie die paradiesischen Prophezeihungen einiger Religionen.

Heute gab es nur noch etliche Insektenarten, Spinnen und natürlich die Ratten. Wenn die Spinnen nicht überlebt hätten, wäre die Menschheit ohnehin schon längst an der Überzahl von Insekten zugrunde gegangen. Viele Menschen fürchteten sich vor Spinnen, aber immerhin fraßen sie weder menschliche Nahrung noch die Menschen selbst, was man von Insekten nicht behaupten konnte. Aus diesem Grund gab es auch Firmen, die Spinnen klonten. Kleine, schnelle und insektenhungrige Spinnen, die in jede Ritze krochen und völlig selbstlos den einzigen wirklichen Feind der Menschheit bekämpften, der ihr jemals den Rang als dominante Spezies der Erde ablaufen konnte. Kein Gift war langfristig so effizient wie ein Container voller Spinnen, und gleichzeitig so ungefährlich für die Menschen. Weller vermutete, dass das Leben in einem intakten Biosystem, wie es noch vor ein paar hundert Jahren auf der Erde existiert hatte, besser war, als in der heutigen Kunstwelt. Sicher war er sich allerdings nicht.

„Das Shuttle entfernte sich weiter von der Erde. Der gewaltige, blaugraue Ball glitt langsam unter ihnen hinweg und gewährte Weller eine wolkenverhangene Sicht auf den südlichen europäischen Kontinent, das Mittelmeer und Nordafrika. Er lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Die anderen Männer taten das auch, witzelten herum oder schauten aus den kleinen Fenstern in die Schwärze des Alls mit seiner immer wieder aufs Neue faszinierenden Sternenpracht, ein Anblick, den man von der Erdoberfläche nicht geniesen konnte. Die verschmutzte Atmosphäre ließ Himmelsbeobachter mit dem bloßen Auge nur die hellsten Sterne erkennen, und selbst sie flackerten nur stumpf, nicht zu vergleichen mit der strahlend hellen Pracht hier draußen.

40 Minuten später kam die ,Sciscator-48' als undefinierbarer, grauer Punkt in Sicht. Das Shuttle begann mit dem abschließenden Bremsmanöver. Der graue Punkt wuchs zu einem regelmäßigen Gebilde aus aneinander gekoppelten, würfelförmigen Stahlcontainern. Am Bug des modular zusammengesetzten Schiffes war der Zentralwürfel mit dem Schiffscomputer, dem Reaktor und den Mannschaftsräumen, dahinter hingen acht weitere Würfel.

Einer mit Laderäumen, 6 mit Treibstoff und einer mit Triebwerken. Alle Würfel hatten eine Kantenlänge von 8 Metern. Auf der Oberseite des Schiffes, wenn es überhaupt so etwas wie oben und unten hier draußen gab, war ein AMBB-Kampfshuttle verankert. Beide Flugobjekte hatten keine sichtbaren Geschütze. Weller wusste aber bereits aus den Missionsinformationen, dass das Kampfshuttle mit zwei ausfahrbaren Raketenwerfern ausgerüstet war. Er glaubte jedoch nicht, dass sie die Raketen brauchen würden.

Das Shuttle manövrierte mit dem Heck geradlinig auf den Bug der Sciscator zu, wo sich die Mannschleuse befand und dockte mit einem sanften Ruck an den Standard-Magnetverankerungen des Würfelraumers an.

Die Gruppe schnallte sich von ihren Liegesitzen los und schwebte zur Schleusentür am Heck des Shuttles. Weller verabschiedete sich von den Piloten. Sie erwiderten seinen Gruß. Die hintere Schleusentür glitt zur Seite und gab jetzt die Sicht auf die Außentür der Schleuse der Sciscator frei. Die Stahltür wies zwei Handauslösehebel auf, die in zwei Kuhlen am oberen und unteren Ende eingelassen waren. Sie konnten im Notfall entriegelt werden, um die Tür mechanisch zu öffnen. Normalerweise wurde die Tür jedoch von internen Motoren geöffnet und geschlossen, und zwar ausschließlich, wenn sie vom Schiffscomputer den Befehl dazu erhielten.

Weller hielt den Code-Geber, der seinen Missions-Unterlagen beigelegen hatte, in die Nähe des Sensorfeldes in der Türmitte und aktivierte ihn durch einen kurzen Druck. Der Induktionscode wurde vom Türsensor an den Schiffscomputer weitergegeben, geprüft und als autorisiert erkannt. Die beiden Türflügel glitten auseinander und gaben den Blick auf den Innenraum der Schleuse frei. Die Männer schwangen sich an Haltegriffen hinein und die äußere Tür schloß sich wieder.

„Guten Tag, Hauptmann Weller. Ich bin Ariane, das Steuerungssystem der Sciscator-48.“ kam eine angenehme Stimme aus den Lautsprechern der Schleuse. „Herzlich Willkommen an Bord. Die Systemeinstellungen des Schiffs wurden bereits gemäß den Direktiven aus Ihrem Auftrag ,Wiedergeburt' eingerichtet. Alle anderen Einstellungen sind noch auf Standard. Bitte finden Sie sich für den obligatorischen Abgleich in der Zentrale ein.„

„Hallo Ariane. Wir kommen runter.“ erwiderte Weller und strich mit seinem behandschuhten Zeigefinger über den Öffnungsschalter der inneren Schleusentür, um sie zu öffnen. „Also, Männer, ihr habt es gehört. Ariane hat Arbeit für uns.„

Die fünf ließen sich durch die Tür treiben und schwebten entlang der zentralen Leiter in den ersten Würfel des Schiffs. Jeder Würfel beinhaltete zwei hintereinander liegende Geschosse, die jeweils aus einem großen, 7 mal 7 Meter messenden Raum bestanden. Im vorderen Raum war die Zentrale mit sechs Pilotenliegen und der Hauptrecheneinheit untergebracht, dahinter lag der Mannschaftsraum mit den sechs Tiefschlaftanks, in denen sie den Hauptteil der Reise verbringen sollten.

Die fünf Männer statteten sich mit den Headsets aus, die in der Zentrale bereitlagen. Die komfortablen Funkgeräte beinhalteten spezielle Kehlkopfmikrofone, Trommelfellinduktoren und stör- und abhörsichere Übertragungseinheiten. Innerhalb einiger hundert Meter konnte man sich mit den Geräten zuverlässig verständigen, selbst bei den extrem lauten Hintergrundgeräuschen während eines Feuergefechts.

„Weller, Merkling und Hellberg nahmen in den Kontrollliegen der Zentrale platz und schnallten sich fest. Hauptmann Weller begann mit der Abgleichung des Systems. Merkling überprüfte die navigatorischen Daten für den Flug zum Mars und Hellberg ließ den Hauptrechner zahlreiche Testroutinen durchgehen, um die einwandfreie Funktion aller an Bord befindlichen, technischen Gerätschaften sicherzustellen und gab Ariane einige zusätzliche Änderungen ihrer Systemeinstellungen. Die Sciscator-48 erwachte zum Leben.

Leutnant Bernhard schwebte in den hinteren Raum, um die Tiefschlaftanks zu inspizieren. Die sechs neuentwickelten PMT12-Tanks von AMBB waren erst vor wenigen Tagen eingebaut worden, ihre gewölbten Stahlpanzerdeckel glänzten hell im Schein der Raumbeleuchtung. Bernhard empfand immer eine gewisse Ehrfurcht vor diesen Geräten. Sie stellten in der lebensfeindlichen Leere des Weltraumes eine Insel der ultimativen Sicherheit dar. Sie schützten ihren menschlichen Inhalt nicht nur vor Alterung und Degeneration während längerer Raumflüge, diese Ausführungen beinhalteten auch hochwertige medizinische Analyse- und Therapiegeräte. Ihre Außenhülle war gegen mechanische Einwirkungen so wiederstandsfähig wie ein gepanzertes Fahrzeug und nicht zuletzt funktionierten die wuchtigen Sarkophage völlig autark als Überlebenskapsel.

Bernhards Gesicht spiegelte sich auf dem kalten Stahl des ersten Schlaftanks wieder, als er sich über den integrierten Computer am Fußende beugte. Er nahm in seiner Funktion als Sanitäter der Kampfgruppe einige Einstellungen vor.

Leutnant Schwarz ließ sich an Bernhard vorübertreiben, gelangte an das Verbindungsschott zum zweiten Würfel und öffnete es durch einen kurzen Druck auf den daneben befindlichen, grünen Knopf. Weller hatte ihn angewiesen, nach hinten zu gehen und eine Überprüfung der Ausrüstung im Laderaumwürfel durchzuführen. Jetzt schwebte er in den ersten der beiden Laderäume. Es war deutlich kühler hier hinten, eine dünne Schicht von Eiskristallen lag auf den Wänden ringsum. Schwarz hatte sich für die Inventur ein Computerpad und einen Lesestift mitgenommen. Er öffnete alle Kisten nacheinander. Mit dem Stift fuhr er jeweils über die Kennchips auf dem Kistendeckel und verglich den Inhalt mit der Anzeige auf dem Pad.

Es gab fünf große Kisten, in denen sich ihre leicht gepanzerten Kampfanzüge befanden. Sie würden sie erst auf dem Mars benötigen. Es gab eine Kiste mit fünf ‚Profi‘-Pistolen und fünf ‚Kampfschütze‘-Sturmgewehren. Das war die Standardbewaffnung der AMBB-Kampfeinheiten. Außerdem lag dahinter noch eine Kiste mit einer fabrikneuen ‚Walküre', dem von AMBB hergestellten Maschinengewehr. Er öffnete die Schnappverschlüsse an der Seite und hob den Deckel hoch. Das dunkel glänzende Gewehr hing in seiner Halterung in der Kiste. Es war noch in einer schützenden Klarsichtfolie eingeschweißt. Schwarz war an dieser Waffe besonders intensiv ausgebildet worden. Die Walküre war eine sehr effektive Infanteriewaffe mit schneller Schussfolge, die wegen ihrer hohen Durschlagskraft auch zur Bekämpfung von leicht gepanzerten Zielen einsetzbar war.

Etwa zwei Stunden später waren alle Checks beendet und die Männer begaben sich in die Tiefschlaftanks. Bernhard war zwar hauptsächlich als Spreng-Spezialist in der Gruppe, aber auch in der Funktion des Sanitäters. Er hatte etliche Kurse zur Bedienung von medizinischen Geräten absolviert und bereitete nun alles Notwendige für den zweiwöchigen Tiefschlaf vor. Er kontrollierte alle Injektionsverbindungen, die die Männer während ihrer Schlafphase mit allem lebenswichtigen Substanzen versorgten und warf einen Blick auf die Monitore, um zu sehen, ob die Lebensfunktionen korrekt aufgezeichnet wurden. Schließlich zog er sich aus und legte sich selbst in einen der Tanks. Nachdem er sich überall angeschlossen hatte, senkte sich der Deckel mit einem hydraulischen Surren. Er hörte noch das leise Klacken der Schließmechanik, sehr dumpf, als würde es von weit her kommen. Er spürte, wie das Anästhetikum eine angenehme Kühle in seinen Körper verbreitete und ihn immer mehr lähmte. Schließlich senkte sich die künstliche, traumlose Ohnmacht wie eine schwere, schwarze Decke über seine Wahrnehmung.

Der Schiffscomputer analysierte ständig alle Daten, die ihm seine zahlreichen Sensoren lieferten. So entging ihm natürlich nicht, dass sich schließlich auch Leutnant Bernhards Lebensfunktionen auf Tiefschlafniveau abgesenkt hatten und aktivierte das Flugprogramm, wie es ihm Weller befohlen hatte. Wäre an Bord jetzt noch ein Mensch bei Bewußtsein gewesen, hätte er den leichten Ruck der Triebwerkszündung und die nachfolgende Schwerkraft spüren können, die durch die einsetzende Beschleunigung entstand. Innerhalb der nächsten zwei Tage würden die Triebwerke gut ein Drittel des Treibstoffes verbrennen, um das Schiff auf eine Geschwindigkeit von etwa 150 km pro Sekunde zu beschleunigen. Mit dieser Geschwindigkeit würde es etwa 10 Tage lang durchs All treiben und schließlich zwei weitere Tage und ein weiteres Drittel des Treibstoffes für das Bremsmanöver benötigen.

Doch im Moment hatte die Sciscator noch die 160 Millionen Kilometer zum Mars vor sich. Die vier Triebwerke brannten gleichmäßig und alle Passagiere schliefen - bis auf einen: der Aeopile G10 Bordcomputer ,Ariane' verrichtete seine Routineaufgaben.

2

15. Januar 2222 - 23:16 Standard-Zeit Erde
AMBB-Modulschiff der M-Klasse „Sciscator-48“
im Verzögerungs-Anflug auf den Mars

Plötzlich wurde sich Bernhard bewusst, dass er wach war. Über ihm befand sich der hochgeklappte Deckel des Schlaftanks. ,Wo bin ich?', dachte er. Er hatte Kopfschmerzen. Er wollte sich bewegen. Seine Gelenke waren wie eingefroren. Das Vibrieren und Dröhnen laufender Triebwerke drang wie ein Schleier zu ihm durch. Er bekam eine leichte Panik, bis langsam in sein Bewusstsein sickerte, dass er im Tiefschlaf gewesen war. Er erinnerte sich an die Tiefschlaftests während des Trainings auf der Erde, was seine Situation sofort besser erscheinen ließ. Die Tests waren grauenhaft. Das Erwachen aus dem Tiefschlaf war meistens verbunden mit starken Schmerzen im gesamten Körper, Schüttelfrost, schweren Kreislaufproblemen, Erbrechen. Nach dem ersten Tiefschlaf hatte er zwei Tage lang Probleme. Die Tanks an Bord der Sciscator waren besser ? neuste Cryo-Technologie, verbunden mit wirksamen Medikamenten. Er würde sich noch ein paar Stunden mürbe fühlen, danach sollten die Auswirkungen abgeklungen sein. Was sich allerdings nicht von selbst legen würde, war die Müdigkeit nach einem Tiefschlaf. Das Wort war im eigentlichen Sinn irreführend, denn der Organismus erholte sich während dieser Zeit sehr schlecht. Man fühlte sich, als wäre man schon zu lange wach. Anregende Medikamente beim Erwachen sorgten natürlich dafür, dass dieses Gefühl fast verschwand, aber das Schlafbedürfniss war dadurch nur aufgeschoben.

Bernhard erwachte nun zum ersten Mal im Weltraum aus dem Tiefschlaf, genau wie alle anderen Besatzungsmitglieder. Er fühlte sich leichter als auf der Erde, die künstliche Schwerkraft an Bord des Schiffes, die durch das Bremsmanöver entstand, war nur etwa halb so groß. Sein Arm brannte, als er die Hand auf den Rand des Tanks legte, um sich hochzuziehen. Neben ihm saß Weller in seinem Tank. Bernhard schaute ihn an und wollte etwas sagen, aber es kam nur ein röchelndes Husten aus seiner Kehle. Schwarz war der einzige, der schon aufgestanden war. Er saß auf dem Boden und machte die Dehnübungen, die ihnen beigebracht worden waren. Die Muskeln waren zwar trotz der langen Ruhezeit nicht geschwunden, da sie in regelmäßigen Intervallen automatisch einem elektro-induktiven Training unterzogen worden waren, aber Gelenke und Sehnen litten durch die lange Bewegungslosigkeit dennoch. Bernhard entfernte die Induktions-Elektroden und auch alle anderen Kanülen und Schläuche von seinem Körper. Dann erhob er sich unsicher aus seinem Tank und zog seinen grauen Overall an.

Wenig später saßen Bernhard, Schwarz und Hellberg auf den aus der Wand herausklappbaren Sitzen neben ihren Schlaftanks und aßen. Kaum einer sprach ein Wort. Hellberg riß einen faden Witz. Niemand lachte.

Weller und Merkling waren, ohne etwas zu essen, gleich in die Zentrale hinauf gegangen und verschafften sich nach ihrer vierzehntägigen Untätigkeit einen ersten Überblick. Beide lagen angeschnallt in ihren Kontrollsesseln.

„Ich grüße Sie, Hauptmann Weller und Oberleutnant Merkling. Wie fühlen Sie sich?„ meldete sich Arianes Stimme aus dem Lautsprecher.

„Hallo Ariane, es geht uns gut.“ Sagte Weller. „Bitte gib mir einen Bericht aller Besonderheiten der letzten zwei Wochen und informiere mich über den Missions-Status.„

„Es gab keine Besonderheiten, Hauptmann Weller. Alle bisherigen Flugmanöver wurden wie geplant durchgeführt. Wir befinden uns zur Zeit im Verzögerungs-Anflug auf unsere planmäßige Schlüsselposition im fernen Marsorbit. Wir werden sie in 285 Minuten erreicht haben. Die standardmäßige Kurskorrektur für die stabile Umlaufbahn ist von mir bereits errechnet worden. Ich bitte um ihre Freigabe.“

„Alles klar, Ariane„, sagte Merkling „gib mir die Daten auf den Schirm.“ Er begann in seiner Eigenschaft als Pilot des Schiffes mit der Überprüfung. Eine halbe Stunde später war er fertig und gab das Kursprogramm frei.

In der Zwischenzeit warf Weller den ersten Blick auf den Mars. Es war natürlich nur eine Aufnahme einer der zahlreichen Außenkameras, denn das Schiff hatte keine Fenster. Die Aufnahme war etwas schlecht, weil die Kamera knapp am Leuchtfeuer des Triebwerkes vorbei filmte, denn das Schiff hatte zum Abbremsen seine Triebwerke in Richtung Mars gewandt. Dennoch konnte man den kleinen, rötlichen Ball deutlich erkennen. Weller zoomte ihn heran, so dass er fast den ganzen Monitor ausfüllte. Er hatte dieses Bild schon oft gesehen, aber niemals zuvor hatte es eine solche Bedeutung für ihn gehabt. Es schien eine unbestimmte Bedrohung von diesem Planet auszugehen, die seinen Blick für kurze Zeit gefangen hielt.

Nach und nach hatte sich auch die übrige Mannschaft in der Zentrale eingefunden. Den Männern blieb noch etwa vier Stunden Zeit, bis sie den Orbit erreichten. während dieser Zeit dauerte das Bremsmanöver noch an und erzeugte eine leichte Schwerkraft an Bord. Sobald sich das Schiff im Orbit befinden würde, wäre an Bord wieder Schwerelosigkeit. Aus diesem Grund wollte Weller die Zeit für ein paar Vorbereitungen nutzen, denn sicherer Boden unter den Füßen sorgte für eine gewohnte Umgebung bei den meisten normalen Tätigkeiten.

Die fünf Männer stiegen entlang der zentralen Leiter hinunter in den Frachtraum und öffneten die Kisten mit den Panzeranzügen.

„Meine Herren, legen Sie jetzt jeder ihren persönlichen Druckanzug an.„ begann Weller. „Die Anzüge sind zwar etwas unbequem, bieten aber Schutz vor allen Gefahren, die hier draußen im Weltraum und unten auf der Marsoberfläche drohen. Achten Sie beim Anlegen vor allem darauf, dass der Schließfalz an der Seite korrekt geschlossen ist. Wenn nicht, bekommen sie ein rotes Fehlersignal auf der Helminnenseite eingeblendet, sobald Sie den Überlebensrucksack angelegt haben und Druck herstellen. Wir werden das jetzt alle testweise durchführen. Für die nachfolgenden Aufgaben auf dem Mars werden wir die Rucksäcke aber nicht benötigen. Wir benutzen nur leichtes Gepäck mit den Gasfiltern. Die Filter befinden sich in dieser Folienpackung.“ Er deutete auf ein kleines, gelbes Packet, das an der Brust jedes Anzuges klebte, riss es auf und steckte den darin befindlichen, fabrikneuen Filter in die Lufteinlassöffnung an seiner Helmseite

Kurze Zeit später standen alle in den Panzeranzügen da. Die Helmscheiben waren von außen mattschwarz und ließen keine Gesichter erkennen. Jeder hatte ein persönliches Erkennungszeichen an der Helmvorderseite und auf den Schultern. Sie legten die Überlebensrucksäcke an und führten den Drucktest durch. „Die Rucksäcke haben Energie für etwa drei Tage.„ fuhr Weller über Helmfunk fort „Von den beiden Sauerstoffflaschen muss alle vier Stunden eine ausgetauscht werden.“ Er führte es kurz vor. Danach legten sie die klobigen Rucksäcke wieder ab, behielten die Panzeranzüge jedoch an.

Weller fuhr fort: „Jeder von Ihnen bekommt eine AMBB ,Profi'. Tragen Sie die Pistole ab sofort jederzeit bei sich. Sie können Sie am Gürtel des Anzuges tragen. Die Waffen sind auf uns fünf Gruppenmitglieder personalisiert. Wenn ein Fremder die Waffe in seinen Besitz bringt, sperrt die Abzugsautomatik, er kann sie also nicht abfeuern. Standardmäßig bekommt jeder zwei Magazine mit jeweils 10 Schuss. Sie kennen die Prozedur ja bereits. Leutnant Schwarz, geben Sie Waffen und Munition an alle aus.„

Die restliche Zeit bis zur Abschaltung der Triebwerke wurde zur Fertigmachung des Shuttles genutzt. Die Bodenseite des Shuttles war an der Seite der Sciscator angedockt. Man konnte durch eine breite Frachtluke von einem Schiff zum anderen hinüberwechseln. Merkling und Hellberg nahmen auf den beiden Pilotensitzen Platz und gingen die geplante Marslandung noch einmal theoretisch durch. Anschließend flogen sie das komplette Manöver unter Simulationsbedingungen und analysierten anhand des Kartenmaterials Gefahrenquellen bei der Landung und stimmten vor allem das Timing ab, da es für den Hin- und Rückflug durch die Sicherheitszone des Gefängnisses nur ein Zeitfenster von einer Stunde gab. Beide waren vorher noch nie auf dem Mars gelandet. Allerdings war das nicht erheblich, da das Shuttle mit Unterstützung seines Bordcomputers flog.

Bernhard überprüfte die medizinische Ausrüstung des Shuttles, die lediglich aus einem Arztkoffer bestand. Da er noch genügend Zeit hatte, beschloss er, Schwarz bei der Überprüfung der sicherheitstechnischen Ausrüstung zu helfen. Es gab zahlreiche Brandbekämpfungseinrichtungen und einige Not-Sprengeinrichtungen wie Schleudersitze oder die Frachtluke, die im Fall eines vollständigen technischen Versagens die schnelle Evakuierung des Shuttles sicherstellten.

Der einzige, der nicht an Bord des Shuttles zu tun hatte, war Weller. Der Hauptmann saß in der Zentrale der Sciscator und ging zusammen mit Ariane die Routine zur Konservierung des Schiffes durch. während die Kampfgruppe mit dem Shuttle zum Mars flog, musste die Sciscator ihren stabilen, orbitalen Kurs halten, und wenn sie von offizieller Seite angesprochen wurde, mit einem Standard-Funkspruch antworten. Auch für den unwahrscheinlichen Fall eines drohenden Zusammenstoßes mit anderen Flugobjekten wurde ein Ausweichkurs und ein alternativer Rendezvous-Punkt festgelegt.

Zehn Minuten vor Abschaltung der Triebwerke kehrten alle Besatzungsmitglieder in die Zentrale der Sciscator zurück, nahmen in den Liegesesseln Platz und schnallten sich an. Das Gefühl der Schwerelosigkeit war allen von zahlreichen Orbitalflügen um die Erde bekannt, aber das kurz aufkeimende Übelkeitsgefühl beim Übergang blieb auch bei erfahrenen Astronauten. Das unterschwellige Brüllen und Vibrieren der arbeitenden Haupttriebwerke, das sie die letzten Stunden seit ihrem Erwachen begleitet hatte, verebbte. Die Sciscator führte mit den Korrekturdüsen noch zwei kurze Manöver aus, dann glitt sie auf ihrer Kreisbahn fast lautlos dahin. Lediglich das leise Rauschen der Luftumwälzung war im Schiff zu hören. Die Männer blieben weitere 5 Minuten angeschnallt sitzen, wie es beim Übergang der Schwerkraftverhältnisse vorgeschriebenen war.

„Alles klar, Hauptmann. Sieht so aus, als wären wir da.“ sagte Oberleutnant Merkling, nachdem er die Triebwerke vollständig deaktiviert hatte.

„Danke, Merkling.„ erwiederte Weller. „Die erste Hälfte der Mission wäre damit fast beendet. Schwarz, schnappen Se sich Bernhard und verladen Sie noch die Waffen- und Munitionskisten ins Shuttle. Wenn Sie das erledigt haben, ist die Vorbereitungsphase abgeschlossen. Wir haben ab jetzt noch sechs Stunden Ruhezeit. Ich denke, die können wir alle gut gebrauchen.“

Schwarz und Bernhard schwebten in den Frachtraum. Es war leicht, die Kisten bei Schwerelosigkeit ins Shuttle zu verfrachten. Eine halbe Stunde später waren die Frachtstücke fein säuberlich im Bauch des Shuttles verstaut und verankert. Dann schliefen auch sie.

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16. Januar 2222 - 11:25 Standard-Zeit Erde
AMBB-Kampf-Shuttle im Landeanflug auf den Mars

Die fünf Männer der Kampfgruppe ,Phoenix' nahmen ihre Plätze im Kampf-Shuttle ein. Merkling saß auf dem Pilotensitz, Hellberg schräg dahinter auf dem Copilotensitz und weiter hinten im Cockpit saß Weller. Er übernahm hier im Shuttle den Kommunikationsplatz. Bernhard und Schwarz saßen auf Notsitzen im Frachtraum. Auf ihren Helmscheiben spiegelten sich die neben ihnen verankerten Waffen- und Munitions-Kisten wieder.

Ein Ruck ging durch das Shuttle, als es von der Sciscator-48 abgekoppelt wurde. Merkling beobachtete durch die gepanzerte Cockpitscheibe, wie sie langsam vom Mutterschiff wegdrifteten. Über ihm befand sich der Mars. Er wandte ihnen im Moment die Nachtseite zu, ihr Zielpunkt lag auf der anderen Seite. Als der Sicherheitsabstand zur Sciscator erreicht war, gab er langsam Schub und ließ das Shuttle in flachem Winkel auf die Marsoberfläche zufallen. Er sah die Sonne aufgehen, als sie den Schatten des Planeten verließen. Ein großartiger Anblick. Früher, auf der Erde, hatte er sich oft gewünscht, solche Momente erleben zu können.

Gerade der Mars mit seinem fortgeschrittenen Terraforming-Projekt war ein Planet mit Zukunft. Er war das Symbol der Hoffnung auf ein besseres Leben einer ganzen Generation. Viele Menschen auf der Erde bemühten sich vergeblich um eine Siedlungsgenehmigung auf dem Mars, denn die Einreisebedingungen waren sehr anspruchsvoll und stark limitiert.

Die einfachste Möglichkeit, auf den Mars zu kommen, war aber immer noch die Kriminalität. Ganze Heerschaaren von Schwerverbrechern mit guter körperlicher Konstitution wurden als Arbeitssklaven auf den Mars verfrachtet. Sie schufteten bei den großen Terraformern im Convallis Morituri, auch Station 8 genannt. Offiziell nannte man das dann Resozialisierungsprojekte. Es war aber inzwischen an die Öffentlichkeit gedrungen, dass nur Vorzeigegefangene jemals wieder auf freien Fuß kamen. Der große Rest von Gefangenen war nach wenigen Jahren härtester Arbeit in der dünnen Marsatmosphäre am Ende ihrer physischen Kräfte, oder gehörte sowieso zu der Sorte von Gefangenen, die niemals wieder frei sein würden. Alles in allem konnte man getrost sagen, dass das Flugziel der fünf Männer die unterste Ebene menschlichen Daseins im ganzen Sonnensystem darstellte. 1,5 Millionen Menschen fristeten dort ihr trostloses Leben.

,Aber was kümmert mich das?' dachte Merkling und zog die Maschine tiefer. Das Shuttle schoss jetzt wenige hundert Meter über der Marsoberfläche dahin. Der Flug war schon vor einigen Tagen angemeldet worden und wenn sie sich von den drei großen Ballungszentren fern hielten, war eine genauere Flugkontrolle sehr unwahrscheinlich.

Der Mars war bedeutend kleiner als die Erde und deshalb war auch die Schwerkraft auf der Oberfläche nur etwa ein Drittel so hoch. Riesige Bergmassive zogen an ihnen vorüber, viel höher, steiler und mächtiger als Berge auf der Erde mit ihrer hohen Schwerkraft jemals werden konnten.

Kurz darauf hatten sie ein enges Tal am Rand ihrer Durchflugschneise des Sicherheitsstreifens erreicht. „Wir haben noch ein paar Minuten Zeit. Ich gehe dort drüben im Schatten des Berges in Warteposition.„ verkündete Merkling. Das Shuttle schwebte unweit der gigantischen Gebirgshänge langsam dahin. Die schroffen, rotbraunen Felswände machten einen unwirklichen Eindruck. Nach drei Minuten brachte Merkling das Shuttle wieder auf Kurs und steuerte in Richtung Sicherheitsstreifen.

„Gleich werden wir ja sehen, ob das auch kein Missverständnis war.“ meinte Hellberg scherzhaft.

„Aktivieren Sie die Waffensysteme des Shuttles, Hellberg.„ befahl Weller „Wir wollen bei netten Überraschungen nicht ganz dumm dastehen.“

„Lock-On-Systeme sind aktiv!„ bestätigte Hellberg gleich darauf.

Das Shuttle glitt über zahlreiche in den Fels hinein gebaute Abwehranlagen hinweg. Alles war ruhig.

„Ich bekomme am Boden jede Menge kleinerer Ortungs-Signale. Das sind Dutzende, man kann aber gar nichts sehen.“ meldete Merkling.

„Das sind Jagd-Robots des Todesstreifens. Sie haben sich im Sand eingegraben. Sie erwachen, sobald sich ihnen Bodenziele nähern.„ erwiederte Weller. „Keine Gefahr für uns.“

Das Tal wurde im Verlauf des Fluges immer breiter und schließlich wichen die Felsen zu ihren Seiten einer weiten, flachen Ebene, die sich einige hundert Kilometer in alle Richtungen erstreckte. Zweifellos hatten sie den Sicherheitsstreifen passiert und befanden sich im Inneren von Station 8, dem berüchtigten Gefängnis. Die Sichtweite lag etwa bei 500 Metern, denn der Wind trug viel Marssand mit sich. Merkling und Hellberg orientierten sich aber an ihrem Navigationssystem und waren nicht auf die Sichtung von Geländemerkmalen angewiesen. Sie änderten nun die Flugrichtung und steuerten in Richtung des ehemaligen Flugfeldes Ost. Das war ein abgelegener Landeplatz für Senkrechtstarter und Kleinflugzeuge mit einem kleinen Gebäudekomplex und unterirdischem Treibstofflager. Nach ihren Informationen waren die Anlagen seit über einem Jahr nicht mehr in Gebrauch und eigneten sich hervorragend für die unbeobachtete Übergabe des Professors.

„Sichtkontakt zum Zielpunkt, turmartiges Gebäude in Richtung 2 Uhr.„ verkündete Hellberg.

„Bernhard und Schwarz, hier spricht Weller, machen Sie sich bereit für die Landung in 3 Minuten. Merkling, drehen Sie eine weite Schleife über dem Areal und leiten Sie die Landung auf dem Flugfeld ein.“ Das Shuttle drehte leicht ab und flog einen zwei Kilometer weiten Bogen um das vom Sand halb zugewehte Flugfeld. Der Gebäudekomplex daneben bestand aus einem etwa 30 Meter hohen Tower, einem einstöckigen Gebäude und einer Flugzeughalle. Neben den Gebäuden standen alte Frachtkisten, Fässer und anderer Schrott. Zwei Fahrzeugwracks standen vor der Halle und eine Müllkippe befand sich hinter dem flachen Gebäude. Ein halb verrotteter, drei Meter hoher Maschendrahtzaun zog sich in zweihundert Metern Abstand um das Flugfeld und die Gebäude. Niemand war zu sehen.

Das Shuttle kehrte zurück. Merkling brachte es über dem Flugfeld in Position. Das Shuttle verlor jetzt langsam an Höhe. Als der nach unten gerichtete Triebwerksstrahl auf das Flugfeld traf, wurde der Sand tonnenweise hochgewirbelt und das Shuttle verschwand in einer rötlichen Staubwolke.

Verdammt, dieser Sand ist tückisch.„ fluchte Hellberg. „Die Bewegungsorter sind völlig tot!“ Das Shuttle setzte weich auf.

„Schalten Sie sofort die Triebwerke ab. Wir können diesen aufgewirbelten Sand nicht gebrauchen!„ ordnete Weller an.

„Ich hoffe, wir bekommen nicht allzu viel von dem Dreck in die Ansaugschächte. Das könnte beim Sart Probleme geben.“ bemerkte Merkling.

Die Triebwerke verstummten und der Staub verzog sich schwerfällig mit dem Wind. Kurz darauf konnten die Männer sehen, wie sich ein Polizeiwagen näherte. Es war ein blau-weißer Kleintransporter mit der großen orangefarbenen 8 auf dem Dach. Die 8 stand für ,Station 8' und befand sich auf den meisten Fahrzeugen der Vollzugsanstalt.

Der Wagen hielt an, als er die entfernte Umzäunung des Flugfeldes erreicht hatte. Die Beifahrertür ging auf. Ein Polizist und ein weiterer Mann stiegen aus. Der Polizist winkte mit einer Hand zum Shuttle herüber, in der anderen trug er ein Schrotgewehr. Auf dem herangezoomten Kamerabild konnte Weller erkennen, dass es sich bei dem zweiten Mann offensichtlich um Stark handeln musste.

„Wollen die etwa, dass wir hinkommen?„ fragte Hellberg.

„Sie und Merkling bleiben auf jeden Fall an Bord. Ich wickle mit Schwarz und Bernhard die Übernahme des Professors ab.“ sagte Weller und verschwand durch die Cockpit-Tür nach hinten in den Frachtraum.

„Schwarz, öffnen Sie die Frachtluke, ich werde mit Bernhard zu dem Polizeiwagen hinübergehen. Sie schnappen sich ein Sturmgewehr und sichern auf halber Strecke.„

Schwarz betätigte den Öffnungsknopf für die Frachtluke und die Rampe fuhr mit hydraulischem Surren nach unten bis ihr Rand auf dem Flugfeld aufsetzte. Weller verließ das Shuttle im Laufschritt. Bernhard folgte ihm.

Schwarz verließ zwanzig Sekunden später das Shuttle. Er lud im Gehen das ,Kampfschütze'-Sturmgewehr durch und folgte den beiden anderen in normalem Marschtempo. Er hatte das Gewehr im Anschlag und beobachtete aufmerksam die Umgebung.

Weller und Bernhard erreichten den Drahtzaun. Es gab überall große Löcher, durch die man problemlos hindurchsteigen konnte. Dahinter stand der Polizeiwagen. Durch die halb verspiegelte Frontscheibe konnte man den Fahrer sehen. Der Polizist neben dem Fahrzeug trug eine Atemschutzmaske und eine Kugelweste. Auf dem Kopf hatte er einen Halbhelm mit Visier. Sein Gewehr hatte er umgehängt und kam jetzt ein paar Schritte auf Weller zu. Mit der einen Hand führte er Stark, dessen Hände mit Handschellen gefesselt waren. Auch er trug eine Atemschutzmaske gegen den Staub und eine große Schutzbrille.

„Guten Tag. Wieviele Besucher-Ausweise benötigen Sie für Ihren Aufenthalt.“ fragte der Polizist, wie es Weller aus seinen Missions-Unterlagen entnommen hatte. „Nicht nötig, wir möchten nur ein paar Worte mit dem Professor wechseln.„ war Wellers korrekte Erwiederung zur Erkennung über den Lautsprecher seines Anzuges.

Der Polizist beugte sich leicht zum Professor, um dessen Handschellen zu öffnen.

„Achtung! Bewegung im Gebäudekomplex.“ meldete sich plötzlich Schwarz über Funk. „Zwei bewaffnete Personen am Erdgeschossfenster.„

Im selben Moment hörte Weller, wie mehrere Automatikwaffen aus dem Gebäude feuerten. Der Polizist vor ihm wurde am Hals getroffen und von der Wucht eines weiteren Treffers umgeworfen. Professor Stark sank in sich zusammen.

„Argh!“ hörte Weller über Funk den hinter ihm stehenden Bernhard rufen. „Hier Bernhard, ich bin getroffen worden!„

Weller wirbelte herum und ließ sich flach zu Boden fallen. Er zog im Fall seine ,Profi' und gab sofort einen ungezielten Schuss in Richtung Gebäude ab. Neben ihm lag Bernhard am Boden. Er hatte einen Beinschuss erhalten und krümmte sich zusammen. Schwarz lag jetzt ebenfalls flach am Rand des Flugfeldes und schoß mit seinem Sturmgewehr auf die Angreifer im Gebäude.

„Hier spricht Merkling. Drei bewaffnete Personen verlassen das Gebäude und bewegen sich auf das Shuttle zu.“

Weller kroch vorwärts zu dem am Boden liegenden Professor. Er schützte ihn, indem er sich mit seinem Panzeranzug über ihn legte. Der Professor schien nur unter Schock zu stehen, er war zum Glück nicht verletzt worden. Weller hörte hinter sich die metallischen Einschläge von Projektilen auf dem Polizeiwagen. Der getroffene Polizist neben ihm hielt sich den Hals. Blut strömte über seinen Handschuh und die Brust.

„Weller hier! Merkling, starten Sie sofort das Shuttle und schweben Sie zwanzig Meter von meiner Position ab, um den Professor an Bord zu nehmen. Nutzen Sie den Feuerschatten des Polizeiwagens. Schwarz, bewegen Sie sich unverzüglich hierher.“

Das Flugfeld verschwand jetzt wieder in einem künstlichen Sandsturm, als die Triebwerke des Shuttles zündeten. Weller hoffte, dass Schwarz die Deckung der Staubwolke nutzen konnte, um die „hundert Meter zu ihm zurückzulegen.

Der Fahrer des Polizeiwagens war ausgestiegen und versuchte, seinem Kollegen zu helfen. Die Scheiben des Wagens waren inzwischen völlig zerschossen. Bernhard ignorierte seine Beinverletzung und feuerte mit der Pistole in Richtung Gebäude. Er konnte mit der ,Profi' auf diese Entfernung wenig ausrichten, aber die psychologische Wirkung des Feuers setzte die Angreifer vielleicht etwas unter Druck. Schwarz sprang auf, sprintete ein paar Meter und ging wieder in Stellung, um ein paar Schuss auf die Personen im Gebäude abzugeben. Die drei Unbekannten, die in Richtung Shuttle gerannt waren, verschwanden in der riesigen, roten Staubwolke. Das Shuttle selbst hob kurz darauf vom Landefeld ab und schwebte mit brüllenden Triebwerken über dem Gefecht. Weller hatte den Professor inzwischen hinter das Wrack des Polizeiwagens gezogen. Vom Gebäude waren im Moment keine Schüsse zu hören.

„Hauptmann, wir bekommen Besuch.„ meldete sich Merkling über Funk aus dem Shuttle. „Drei Personenfahrzeuge nähern sich mit hoher Geschwindigkeit dem Flugfeld. Geschätzte Ankunft ist etwa in einer Minute.“

„Die Fahrzeuge sind im Lock-On. Soll ich die Ziele bekämpfen?„ fragte Hellberg.

„Nein,“ erwiederte Weller. „Die Bordwaffen auf keinen Fall einsetzen. Das ist innerhalb der Anstalt zu auffällig. Man würde eventuell die Detonationen orten.„

„Das Shuttle schwebte jetzt langsam von oben herunter. Der Sand war überall. Der Druck von den Triebwerken nahm immer weiter zu, je tiefer das Shuttle sich herabsenkte. Weller stützte den Professor, der sich hilflos an seinen gepanzerten Anzug klammerte. Der eine Polizist krallte sich am Boden fest. Sein verblutender Kollege war inzwischen ohnmächtig geworden und wurde vom Triebwerkswind erfasst. Er rollte über den Boden davon. Bernhard war inzwischen zu Weller gehumpelt. Die Männer konnten sich in dem Sandsturm nur schemenhaft erkennen, obwohl sie direkt nebeneinander standen.

Das dunkle Rechteck der Frachtluke war in einigen Metern Entfernung erkennbar. Weller half dem Professor und Bernhard. Hellberg stand im Frachtraum und nahm die beiden in Empfang. Dann kletterte auch Weller hinein und spähte in die Wand aus verwirbeltem Sand hinein.

„Schwarz, wo bleiben Sie?“ - „Ich bin gleich da!„ Weller sah die Silhouette auf sich zulaufen und streckte seinen Arm aus. Eine bloße Hand ergriff seinen Arm und eine ungepanzerte Gestalt zog sich an ihn heran. Er sah das entschlossene Gesicht des unbekannten Angreifers nur kurz, dann wurde er von ihm zu Boden gerissen. Der Mann war kräftig. Weller sah einen Vibro-Dolch durch die Luft sausen. Er riss seine ,Profi' hoch, doch bevor er abdrücken konnte, erschlaffte der Mann über ihm und kippte zur Seite. Schwarz war offenbar direkt hinter dem Kerl gewesen und hatte ihn mit einem gezielten Schlag in den Nacken erledigt.

„Letzter Mann an Bord! Wir können abheben!“ rief Schwarz und schlug auf die Schließtaste der Klappe. Das Shuttle schwankte einen halben Meter über dem Boden, die Triebwerke heulten auf. In diesem Moment schälte sich plötzlich ein Fahrzeug aus der Sandwolke. Es war ein offener Wagen mit sechs vor Sand halb blinden Insassen. Der Wagen fuhr ungebremst gegen die Kante der sich schließenden Frachtluke. Weller, Schwarz und Bernhard, die noch auf der Klappe standen, wurden von den Füßen gerissen. Der Fahrer des Wagens krachte mit dem Kopf voll gegen die massive Stahlplatte. Sein Schädel zerplatzte förmlich. Einer der Männer auf dem Rücksitz wurde nach vorne geschleudert und hing jetzt halb auf der sich schließenden Klappe. Das Fahrzeug prallte vom Shuttle ab. Weller konnte durch den kleiner werdenden Spalt sehen, wie sich das Fahrzeug mehrmals überschlug. Schwarz gab dem Mann, der an der Klappe hing im Liegen einen Tritt. Der Mann rutschte ab, klammerte sich verzweifelt am Rand der Klappe fest. Die vier Hydraulikstäbe pressten die fast geschlossene Klappe mit unbarmherziger Kraft vollends zu und zerquetschten seine Hände. Im Frachtraum lagen jetzt nur noch die Finger des Unglücklichen.

Das Shuttle gewann jetzt schnell an Höhe und drehte seine schnittige Nase in Richtung Rückflugkorridor. Weller und Schwarz schnallten den Professor auf einen der Notsitze im Frachtraum und sicherten sich anschließend selbst. Bernhard saß bereits. Die Triebwerke brüllten auf und das alte Flughafengelände war im Nu hinter dichten Sandwolken verschwunden, während die rauhe, felsige Oberfläche des Mars unter ihnen hinwegglitt.

Kurze Zeit später passierten sie wieder den Sicherheitsstreifen und verließen das unwirtliche Areal von Station 8.

Merkling steuerte das Shuttle zurück in das weite Tal der angrenzenden Berge, als ein kurzer Warnton ihn auf die zunehmende Wärme im linken Triebwerk hinwies.

„Weller, hier Merkling, wir haben ein Problem mit dem Triebwerk. Es scheint irgend etwas mit der Kühlung nicht zu stimmen. Die Überhitzung nimmt schnell zu. Es könnte sein, dass uns das Ding in ein paar Minuten um die Ohren fliegt.„

„Reicht uns das noch bis in den Orbit?“

„Darauf würde ich nicht wetten.„ antwortete Merkling. „Wenn wir überhitzt in den Orbit gehen, bekommen wir ohnehin noch größere Probleme mit der Wärmeabfuhr. Ich schlage vor, dass wir hier irgendwo runtergehen.“

„Verdammt! ? Na gut, dann suchen Sie uns einen geeigneten Landeplatz und setzen Sie das Shuttle auf.„ befahl Weller.

Hellberg warf einen besorgten Blick auf den Radarbildschirm vor sich. Die Umgebung hatte ein schroffes Oberflächenprofil. Das Bild wurde ständig gestört. Es war zu viel Staub in der Luft. Eine Minute später hatte er jedoch ein kleines Plateau am Fuß der zerklüfteten Felswand gefunden. Der Überhitzungs-Warnton wiederholte sich inzwischen mit monotoner Unablässigkeit und wies die beiden Piloten nur allzu deutlich auf die Kritische Temperatur hin. Merkling ging schnell runter und setzte das Shuttle rauh ab. Die Männer wurden kräftig durchgeschüttelt. Sofort schaltete er den Schub ab und ließ das Triebwerk auslaufen.

Draußen konnte man keine fünf Meter weit sehen. Die Triebwerke hatten den feinen, roten Marssand zwischen den Felsen hervorgeblasen und ließen das Shuttle in einer riesigen Staubwolke verschwinden.

Die Männer im Frachtraum schnallten sich sofort von den Notsitzen los. Bernhard nahm den Arztkoffer von seiner Wandhalterung und kümmerte sich um den Professor. Schwarz wechselte das fast leere Magazin seines Sturmgewehres gegen ein neues und beobachtete Bernhard dabei, wie er dem Professor eine Beruhigungsspritze verabreichte. Mit einem leisen Zischen entlud sich der Inhalt der Ampulle in Starks verkrampften Unterarm. Er entspannte sich wenige Sekunden später.

Weller sprang unterdessen von seinem Sitz auf, ging nach vorne und setzte sich auf seinen Platz im Cockpit. „Merkling, lassen Sie den Computer einen automatischen System-Check machen.“ - „Läuft schon.„

Schwarz stand im Frachtraum und beobachtete durch das kleine Seitenfenster die vorbeiziehenden Staubschwaden, die sich scheinbar nur widerwillig verziehen wollten. Doch war da draußen nicht etwas? Eine vorbeihuschende Gestalt? Oder nur eine Zusammenballung von Sand?

„Weller, hier Schwarz, ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, wir haben Besuch.“ Weller überlegte, während Hellberg ergänzte: „Ich habe nichts Brauchbares auf dem Schirm. Alles zu verwaschen.„

Weller zögerte einen kurzen Moment und traf dann eine unangenehme Entscheidung: „Also gut, Schwarz, schnappen Sie sich Bernhard und drehen Sie draußen mal eine Runde. Reagieren Sie auf Bedrohungen ohne Vorwarnung und nach eigenem Ermessen. Ich komme gleich nach.“

Schwarz hatte bereits auf diesen Befehl gewartet und schlug auf den Öffnungsknopf der Frachtluke. Das Hydraulikschott öffnete sich. Schwarz kickte mit der Fußspitze seines Panzeranzuges die abgequetschten Finger nach draußen, die noch immer am Rand der Rampe klebten. Auf seinem Helm spiegelte sich verzerrt der rote Marssand, der sich langsam aufzulösen schien, aber immer noch in trägen Schwaden hereinwaberte. Bernhard setzte dem Professor eine Atemschutzmaske auf, schnappte sich sein Sturmgewehr aus der Wandhalterung und lud durch.

Schwarz und Bernhard sicherten rechts und links des Schotts nach draußen. Beide hatten ihre Kampfschütze-Sturmgewehre im Anschlag. Es war nichts zu sehen. Schwarz schwang sich mit einem lockeren Sprung aus der Luke und setzte federnd im knöcheltiefen Sand auf. Die Schwerkraft des Mars betrug nur etwa ein Drittel der Erde und die Bewegungen waren merklich leichter und weicher. Schnelle Schritte hatten eine Tendenz zum leichten Springen. Nicht so stark wie auf dem Mond, aber ähnlich. Auch Bernhard folgte nach draußen und in der Schottöffnung war jetzt auch Weller zu sehen. Er wartete sichernd, während die beiden anderen um das Shuttle herumliefen. Der Staub hatte sich jetzt fast verzogen und gab einen trüben, rötlichen Blick auf die Umgebung frei. Bernhard kontrollierte die Landestützen und Triebwerke des Shuttles, während Schwarz seinen Blick über die schroffen Felshänge schweifen ließ. Direkt neben ihm rollten einige kleinere Steine von oben herab. Er schaute angestrengt in die Richtung, aus der die Steine kamen, um die Ursache herauszufinden. Tatsächlich! Eine Gestalt verschwand hinter den Felsen. Er schoss augenblicklich einen kurzen Feuerstoß in Richtung der Gestalt ab und verfehlte nur knapp. „Kontakt zu einzelner Person etwa fünfzig Meter westlich. Oben liegende Position zwischen Felsen.„ rief Schwarz in seinen Kommunikator. „Person ist jetzt außer Sichtweite. Weitere Vorgehensweise unklar.“

„Weller antwortete: „Schwarz, Deckung beziehen und sichern. Bernhard, Statusmeldung?„

„Hier Bernhard, ich habe etwas interessantes entdeckt. Einige Stofffetzen scheinen sich im Luftansauggitter des Triebwerkes festgesetzt zu haben. Ich habe das Gitter gesäubert.“

„Hier Weller, gesamte Gruppe sofort im Shuttle sammeln. Merkling, starten Sie die Triebwerke. Wir heben ab in dreißig!„

„Hier Merkling. Triebwerke fahren hoch. Alarmstart in dreißig Sekunden ? läuft.“

„Hellberg, scannen Sie die Umgebung und setzen Sie bei Kontakt die Bordwaffen ein.„

„Hier Hellberg. Bordwaffen sind ,on'. Umgebungsscan ist ,clear'.“

Schwarz und Bernhard sprangen in den Frachtraum zurück, Weller schloß das Schott. Die Männer hatten gerade noch gnügend Zeit, sich anzuschnallen, als das Shuttle mit voller Beschleunigung von dem kleinen Plateau abhob. Das hohe Kreischen der Triebwerke war ohrenbetäubend. Der Professor wurde in seinem Sitz niedergedrückt. Bernhard stützte ihn mit seiner linken Hand, während er sich selbst gegen die Rückenlehne stemmte, um nicht voll in die Gurte gepresst zu werden.

„Hier Merkling, gute Nachrichten! Die Überhitzung baut sich zügig ab. Alle Systeme sind im grünen Bereich. Kurs wird planmäßig fortgesetzt. Vorraussichtliche Ankunft am orbitalen Rendezvouz-Punkt in sieben Minuten.„

Der Schub ließ nach, als Merkling auf normalen Kurs ging und die Männer im Frachtraum konnten sich wieder etwas entspannen.

„Weller, schauen sie sich das mal an,“ sagte Bernhard und hielt ihm den Stofffetzen entgegen, den er aus der Ansaugöffnung geholt hatte. Es waren die Überreste einer orangefarbenen Kunststoffjacke, auf deren Rücken man noch eine große, blaue ,8' erkennen konnte. „Das ist die Jacke eines Inhaftierten.„

„Wie kommt die in das Ansauggitter?“ fragte Weller.

„Wahrscheinlich hatten wir einen blinden Passagier.„ vermutete Schwarz. „Aber ich frage mich, wie der sich am Shuttle halten konnte. Muss ein ganz schön zäher Bursche gewesen sein. Erwischt habe ich ihn jedenfalls nicht.“

„Der kann uns egal sein.„ log Weller. „Hauptsache, der Professor ist wohlbehalten raus aus diesem Drecksloch!“ Er schaute aus dem Fenster. Unter ihnen entfernte sich die rotbraune, felsige Oberfläche des Mars und wich dem tiefschwarzen Panorama des Weltalls.

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16. Januar 2222 - 10:20 Standard-Zeit Erde
M-Klasse Kreuzer ,Ictus' im fernen Marsorbit

Die Ictus bestand in der Hauptsache aus einem AMBB-32m?Würfel, an den verschiedene, kleinere Triebwerks- und Schleusenwürfel angedockt waren. Nirgends auf der Außenhülle gab es ein Logo oder ein anderes Erkennungszeichen, das verraten hätte, zu welchem Konzern oder zu welcher Institution die Ictus gehörte. Lediglich das Licht der unzähligen Sterne spiegelte sich in der matten, metallischen Oberfläche der Würfelseiten. Das Innere des Schiffes war angefüllt mit hochmodernen, medizinischen Laboren und Überlebenstanks für eine ganze Kompanie. Allerdings waren die wenigsten dafür gedacht, Menschen zu beherbergen. Sie waren hauptsächlich für Androiden vorgesehen, und aus diesem Grund bestand auch die Besatzung zum größten Teil aus Androiden. Die künstlichen Personen sahen normalen Menschen zum verwechseln ähnlich. Sie atmeten Sauerstoff, ernährten sich von Nährlösungen, schieden sie später wieder aus, hatten Gefühle und Triebe, aber trotzdem unterschieden sie sich von den Menschen in zwei hauptsächlichen Dingen. Zum einen waren sie viel effizienter als die Menschen und zum anderen hatten sie außer ihrem freien Willen noch eine Art feste Programmierung. Dadurch waren Androiden meistens besonders loyal zu ihrem Arbeitgeber eingestellt. Androiden galten zwar als lebende Wesen und genossen aus diesem Grund die gleichen Rechte wie normale Menschen, aber trotzdem waren sie durch einen unkündbaren Zeitvertrag und die voreingestellte Psyche an ihren Arbeitgeber gebunden.

Oberstleutnant Dorian Grish war ebenfalls durch einen Vertrag an seinen Arbeitgeber gebunden. Allerdings war er kein Android. Er war einer der wenigen Menschen an Bord und gleichzeitig der Kommandant der Ictus. Er stand, von Magnetschuhen gehalten, in der Mitte der schwerelosen Zentrale und beobachtete die zahlreichen Bildschirme, auf denen man sehen konnte, wie sich langsam ein AMBB-Shuttle näherte.

Arthur, das ist das Schiff, auf das wir gewartet haben.„ wandte er sich an den zweiten Offizier, der neben ihm an den Kontrollen saß. „Die werden uns keinen Funkspruch senden. Lassen Sie sie andocken und überprüfen Sie die Kennung über eine feste Verbindung. Wir wollen sichergehen, dass wir nicht über Funk abgehört werden.“

Der Android nickte kurz und fuhr dann wieder fort, seine Instrumente zu überwachen.

Der erste Offizier, Janh Kerson, befand sich zur Zeit nicht in der Zentrale. Kommandant Grish aktivierte durch einen kurzen Gedanken mit seiner Gehirnschnittstelle das implantierte Funkgerät an seinem Kopf und nahm Kontakt mit Kerson auf: „Janh, das Shuttle ist im Anflug. Halte dich bereit für die Übergabe des Professors. Die beiden Sanitäts-Soldaten sollen schon mal die AMBB-Overalls anlegen.„

„Ich habe verstanden, Dorian. Wir gehen vor wie besprochen.“ antwortete Janh.

*

Paul Weller saß in seinem Kontrollsitz im Cockpit des Shuttles. Er konnte sehen, wie das würfelförmige Schiff langsam unter sie glitt. Merkling manövrierte sie mit kurzen Triebwerksstößen über die Hauptschleuse der Ictus. Als die Magnethalterungen das Shuttle arretierten, gab es einen kurzen Ruck. Gleichzeitig wurde eine feste Kommunikationsverbindung hergestellt.

Der Shuttle-Computer empfing einen kurzen Code von der Ictus. Er erkannte ihn und reagierte, indem er sämtliche Aufzeichnungen der vergangenen Mission an die Ictus übertrug. Niemand an Bord des Shuttles ahnte etwas davon, denn dieser Befehl wurde bereits vor ihrem Abflug von der Erde in den Shuttle-Computers einprogrammiert und nicht auf Hauptmann Wellers Kontrollmonitoren angezeigt.

Die Verbindung steht. Ich sende jetzt unsere Kennung,„ sagte Weller mehr zu sich selbst, als er an der Tastatur vor sich die Sendung bestätigte. Einen Augenblick später kam bereits die Bestätigung: „Kennung akzeptiert. Fahren sie fort.“

Weller aktivierte die Bildsprechverbindung und sendete eine gesprochene Botschaft: „Hier spricht Hauptmann Weller. Professor Dr. Stark befindet sich an Bord unseres Shuttles. Er ist leicht verletzt. Sein Zustand ist aber stabil. Ich erbitte Informationen zur weiteren Vorgehensweise der Übergabe.„

„Hier spricht Major Kerson, erster Offizier der Ictus. Die Übergabe des Professors wird in der Schleuse der Ictus stattfinden. Schicken Sie ihn mit einer unbewaffneten Begleitperson herüber. Er wird sofort medizinisch betreut, wir haben ausreichende Geräte an Bord. Für die Übergabe stehen ab jetzt 5 Minuten zur Verfügung. Docken sie danach mit dem Shuttle ab und gehen Sie auf Distanz.“

Weller war etwas überrascht. Der Major der Ictus war sehr knapp angebunden. Aber ihm sollte das recht sein. Je schneller sie Stark loswurden, desto eher war die Mission abgeschlossen. Im Frachtraum wartete Bernhard bereits darauf, mit dem Professor hinüberzuschweben. Weller bestätigte: „Major Kerson, Professor Stark ist bereit. Sorgen Sie für den Druckabgleich der Schleuse.„

Bernhard hielt sich am Griff neben der Schleusentür fest. Der Professor war an seiner Unterseite festgegurtet. Der fühlte sich zwar wieder etwas besser, aber das Beruhigungsmittel wirkte immer noch. Außerdem war der Professor nicht trainiert, sich in Schwerelosigkeit zu bewegen.

Der Außensensor der Schleusentür sprang ein paar Sekunden später auf grün, als der Druck auf der anderen Seite angeglichen wurde. Schwarz öffnete die Schleusentür. Bernhard stieß sich leicht ab und glitt durch die Öffnung hinüber in die helle, geräumige Schleuse der Ictus. Dort warteten drei Männer in graublauen AMBB-Overalls. Zwei Sanitäts-Soldaten, erkennbar an ihren weißen Schulterklappen, und ein Major. Außerdem war an der Schleusenwand ein Schlaftank magnetisch befestigt. Einer der Sanitäter half Bernhard, den Professor abzugurten und der andere öffnete den Tank. Bernhard salutierte kurz vor dem Major. Als dieser den Gruß lässig erwiederte, bemerkte er die schwere Makato ,Ronin' in dessen Pistolenhalfter. Das war keine sehr verbreitete Waffe bei AMBB-Kampftruppen, zumal sie nicht vom eigenen Konzern hergestellt wurde. Aber höhere Offiziere konnten sich so etwas natürlich leisten.

Bernhard wartete, bis die beiden Soldaten den Professor in den Tank gelegt hatten. Er bemerkte den unsicheren Blick des Majors, der auf der Spiegelfläche seines Panzerhelmes vergeblich einen Bezugspunkt suchte. Der Major konnte seine Augen nicht sehen.

Major Kerson, bitte bestätigen Sie den richtigen Empfang des Professors.“ forderte Bernhard ihn auf.

Der Major schaute prüfend auf den Monitor des Tanks. Die Lebensfunktionen waren alle im grünen Bereich. Dann sah er Bernhard wieder an. Er zögerte kurz und sagte dann: „ Richtiger Empfang bestätigt, Leutnant. Sie können abrücken.„

Bernhard grüßte nochmals und wandte sich um. Kurz darauf befand er sich wieder im Frachtraum des Shuttles und die Schleusentür schloss sich hinter ihm. Er atmete auf. „Hauptmann Weller, die Übergabe wurde ohne Zwischenfälle abgewickelt. Außenluke ist geschlossen,“ meldete er.

„Danke, Bernhard. Nehmen sie wieder ihren Platz ein. Wir docken ab in 20 Sekunden.„

Wenige Augenblicke später ging ein Ruck durch das Shuttle, als die Magnetverbindung zur Ictus gelöst und die Steuertriebwerke aktiviert wurden.

Weller war zufrieden. Die Mission ,Wiedergeburt' war erfolgreich abgeschlossen. Sie mussten nur noch zurückkehren. Im Nu wurde das Kamerabild der Ictus auf Wellers Schirm kleiner und kleiner und fügte sich schließlich in das unübersichtliche Bild der Sterne hinter ihnen ein. Minuten später schälte sich vor ihnen die Sciscator aus den Lichtpunkten der Sterne und wuchs zu dem gewohnten Anblick der aneinandergereihten Würfel der Sciscator-48.

*

Systemnetz-Nachricht (verschlüsselt / Trideo-Bild) von Oberstleutnant.Grish@Ictus?3918/Kommandant an Operationsleiter.Volkhart.Haid@Nexus/SE-Tertia am 16.01.2222 um 10:40 Standard-Zeit Erde

(Nachricht Anfang)

„Guten Morgen, Oberst Haid, soeben fand die Übergabe der Zielperson statt. Professor Stark ist wohlauf und befindet sich an Bord der Ictus auf dem Weg zur Forschungsbasis.

Die parallele Datenübertragung vom Einsatzshuttle der Spezialeinheit ist noch nicht vollständig ausgewertet. Ich kann Ihnen die Mars-Mission aber auf jeden Fall als Erfolg melden.

Die Versuchsreihe entwickelt sich zu unserer absoluten Zufriedenheit. Alle Mitglieder sind 100% operabel. Der Einsatzbefehl für Mission ,Eisenherz' wurde an die Sciscator-48 abgesetzt.

Wir verfahren weiterhin wie geplant.

hochachtungsvoll, Oberstleutnant Grish“

(Nachricht Ende)



Abenteuer Übernahme auf dem Mars

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