Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


1111:tarok_xorbesh

Tarok Xorbesh (Charakter)

Vorgeschichte:

Noch war die Sonne nicht aufgegangen, aber flussabwärts zeichnete sich schon ein hellerer Streifen am nächtlichen Horizont ab. Völlig außer Atem stach der schlanke, junge Seher wieder und wieder mit der Stange ins untiefe Wasser des Selam, der an dieser Stelle immer sumpfiger und bewaldeter zu werden begann. Das flache Einbaumkanu kam nur noch träge vorwärts. Einerseits wegen der Schlingpflanzen, die die gesamte Wasseroberfläche bedeckten aber andererseits vor allem weil die Kräfte des Sehers immer mehr erlahmten. Kalter Schweiß glänzte auf seiner dunklen Haut. Er war nun schon seit einigen Stunden auf der Flucht vor den Kämpfern des Stammes der Selanti - seines eigenen Stammes. Oder besser gesagt, seines ehemaligen Stammes, denn Petal-Ha, der Häuptling, war ihm schließlich auf die Schliche gekommen und hatte sein Intrigenspiel durchschaut. Das sorgfältige Lügengebäude stürzte ein und offenbarte dem Häupling, dass er Warrai, seine Lieblingsfrau, hatte zu Unrecht steinigen lassen. Der Seher und Warrais Dienerin, Arla, hatten das Gerücht ihres Ehebruchs in Umlauf gebracht, um ihre eigene, unrechtmäßige Liebschaft zu verheimlichen, welcher Warrai auf die Schliche gekommen war. Der Häuptling hatte in seiner rasenden Wut Warrai steinigen zu lassen. Doch sein Zorn verflog nicht. Nachdem Warrais Leichnam blutüberströmt zwischen den faustgroßen Steinen am Fuß der Richtmauer lag, wollte er ihre Dienerin ebenfalls steinigen zu lassen, worauf diese mit der ganzen Wahrheit herauskam um ihr Leben zu retten. Aber sie irrte sich! Der Häuptling verdrehte wie wahnsinnig die Augen, stach ihr in den Unterleib und warf sie ins Feuer, worin sie sich jämmerlich wand und schrie, bevor sie endlich zur Ruhe kam. Das war der Moment, wo Petal-Ha den Seher mit Augen wie Drachenmäuler anstarrte, denn das heißeste Feuer der Rache loderte in ihnen. Der Seher sprang in blinder Angst auf ein Pferd und ritt wie eine gestochene Felsenspinne aus dem Dorf hinaus und zum Fluss hinunter, wo er ein Kanu zu Wasser lies und den dunklen Fluss hinunter stakte. Hinter ihm war die ganze Meute des Häuptlings mit Fackeln und Sichelschwertern. Das war um Mitternacht. Er hängte die Verfolger ab und fuhr eine ganze Weile zügig mit der Strömung. Er dachte, die Männer hätten ihn verloren, doch vor einigen Minuten hatte einer der Kämpfer ihn entdeckt und holte langsam aber sicher auf. Getrieben von der versprochenen Belohnung für den Kopf des Sehers, war der Stammeskrieger ihm mit voller Kraft auf den Fersen. Seine Muskeln arbeiteten geschmeidig und schnell. Er war ein geübter Bootfahrer. Der Seher hörte die rhytmischen Platscher im Wasser, die sein Verfolger mit der Stange machte. Seine eigenen waren deutlich seltener zu hören. Dann hatte der Kämpfer den Seher eingeholt. Er sprang behende in dessen Boot, das Sichelschwert schlagbereit in der Rechten. Dem Seher war die Stange aus der Hand gefallen, als das Boot schwankte. Er ging auf die Knie, sein Schicksal erwartend. Der Kämpfer holte aus.

Ein Pfeil zielte auf die Männer im Boot. Ein guter, gerader Pfeil, dessen Spitze in den Schmieden von Kirijon gefertigt worden war, von uralten Elfenschmieden, die ihr Handwerk seit hundert Jahren ausübten. Der Pfeil lag in der Sehne eines Bogens, der ebenfalls von Meistern gefertigt worden war. Und die Sehne wurde ausgezogen von der Hand eines blasshäutigen Schützen, der von der hochelfischen Akademie für Geschichte ausgewählt und entsandt worden war, um im Süden Rejaskas ein uraltes Grabmal zu finden.

Er war eigentlich nur zufällig am Fluss und hatte sein Nachtlager unauffällig zwischen hohem Schilfrohr am Ufer aufgeschlagen. So unauffällig, dass es nicht einmal die brütenden Enten störte. Er war geweckt worden vom Platschen der Holzstangen im Wasser und wurde nun Zeuge der Verfolgung zwischen dem schlanken jungen Mann, der von einem mächtigen Kämpfer verfolgt wurde. 'Wer mögen diese Männer sein', dachte er. 'Vielleicht ein Fischer oder Entenjäger, der von einem Räuber überfallen wurde?' Normalerweise ist es nicht die Art der Elfen, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen, aber der Elf hatte schon einige Zeit ergebnislos im Land gesucht und sich dazu entschlossen, sich mit einem Einheimischen zusammen zu tun. Der junge Mann könnte ihm nützen, da er die Sprache des Landes besser verstand und sich aufgrund seiner jugendlichen Aufgeschlossenheit eher auf die Gesellschaft eines fremden Elfen einlassen würde. Das Boot war nur noch einen lockeren Steinwurf entfernt, als der Pfeil abschnellte.

Er traf Garlak, den Kämpfer, genau in dem Moment als er zum tödlichen Hieb ausholen wollte, in die Brust. Dieser schrie überrascht auf, verlor das Gleichgewicht und fiel schwer verwundet und mit einem lauten Klatschen ins Wasser. Eine erschreckte Entenschar flatterte schnatternd auf. „Da vorne ist etwas“, hörte man eine Stimme flussaufwärts rufen. Mehr Boote mit Stammeskämpfern glitten weiter hinten durch die Dunkelheit.

Der Seher war sichtlich überrascht von der unerwarteten Rettung. Er schaute umher und entdeckte den Elf, der aufrecht am Ufer stand und bereits den nächsten Pfeil eingelegt hatte. Der Elf war ebenfalls überrascht von der unerwarteten Verstärkung und winkte dem jungen Seher zu. 'Komm. Spring.' Der Seher stieß sich vom Boot ab und tauchte ins Wasser ein. Mit der letzten Kraft schwamm er durch die Schingpflanzen ans Ufer, wo ihn der Elf hinaufzog. Das Boot trieb langsam weiter. Der Elf schnitt mit seinem Dolch ein paar Schilfrohrhalme ab und reichte eines dem Seher. „Mit Rohr unter Wasser atmen.“ erklärte er und zog den Seher mit sich zu einer seichten Stelle zwischen dichtem Schilf und beide glitten unter die dunkle Wasseroberfläche, die Lippen fest um die Schilfrohre gepresst.

Der Seher lag unter Wasser und atmete schwer durch das Schilf. Er war nicht nur erschöpft, sondern auch aufgeregt, denn der Elf, der neben ihm im Wasser lag, war vielleicht der weiße Mann, den er seit Jahren immer wieder in seinen Träumen gesehen hatte. Zum ersten mal im Alter von 11. Der alte Seher des Dorfes erzählte ihm damals, dass es eine Legende gibt, derzufolge ein weißer Mann den König des Landes stürzen wird. Der alte Seher nahm ihn wegen dieses Traumes als Schüler an. Seitdem hatte er einige Male wieder Träume mit dem weißen Mann. Und nun hatte ein weißer Mann ihm das Leben gerettet. Seine Träume und das Auftauchen des Fremden konnte kein Zufall sein.

Erst als sie sicher waren, dass die Verfolger gegangen sein mussten, tauchten sie wieder aus dem Wasser auf. Sie saßen im Schilf und schauten umher, um sich zu vergewissen, dass niemand mehr da war. Die Sonne ging gerade auf und der Tag am Fluss erwachte. Sie schauten sich schweigend an, bis der Seher sagte:„Du hast mir das Leben gerettet. Ich will Dich begleiten. Mein Name ist Tarok. Wie ist dein Name?“



Staub der Götter · Rejaska

1111/tarok_xorbesh.txt · Zuletzt geändert: 2020/08/12 10:38 (Externe Bearbeitung)